Neue Absatzwege für die Industrie
Dr. Hubertus Boehm
Gewinner und Verlierer im Wettbewerb der Vertriebskanäle
Es gibt kaum noch einen Markt, auf dem nicht das Angebot größer ist als die Nachfrage. In dieser Konstellation ist der Käufer der Stärkere. Das gilt seit Jahrzehnten – nichts Neues also. Und doch gibt es Veränderungen: die Relation verschiebt sich, das Ungleichgewicht wird stärker. Aus dem „gesunden“ Leistungswettbewerb wird ein existenzbedrohender Verdrängungswettbewerb. In vielen Branchen ist er bereits Realität, in anderen absehbar. Die Öffnung des europäischen Marktes verstärkt diese Entwicklung noch.
Verkaufen ist schon lange schwieriger als produzieren. Im Verdrängungswettbewerb erhält der Vertrieb einen immer höheren Stellenwert, Marktnähe wird erfolgsentscheidend.
Der klassische Produzent ist gewöhnlich weit entfernt vom Markt. Er hat (zumindest im Vertrieb) keinen direkten Kontakt zu Kunden und potenziellen Kunden. Der Vertrieb ist selbstständigen Vertriebspartnern überlassen: Handwerkern, Einzelhändlern, Handelskonzernen, Großhändlern, Werksvertretern, Handelsvertretern. In dieser Vertriebsstruktur ist die Marktnähe zwangsläufig gering. Alle Informationen stammen aus zweiter Hand. Der Hersteller spürt nicht, was die Endverbraucher brauchen, wie sie seine Produkte beurteilen, welche Kaufmotive ausschlaggebend sind, welche Serviceanforderungen wirklich bestehen, wie sich der Wettbewerb verhält, wo die „Schmerzgrenze“ bei den Preisen liegt. Er erfährt dies nur (wenn überhaupt) auf Umwegen über Dritte, unvollständig, „gefiltert“, manipuliert.
In einem dynamischen, sich schneller ändernden Markt, ist ein solches Wissensdefizit gefährlich. Der Weg in die Informationsgesellschaft ist unaufhaltsam. Die Ware „Information“ wird zum ausschlaggebenden Erfolgsfaktor. Wer mehr weiß als andere, ist stärker. Wer schneller agiert und reagiert, dominiert. Umfangreiches und aktuelles Wissen über Kunden, Anforderungen und Wettbewerb bedeutet Marktnähe. …